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So ein frecher Hund, das gibt’s ja gar nicht, sagt der Mann im Aufzug und versteckt seine Knöchel vorsichtshalber hinter zwei Einkaufstüten. Ist das überhaupt ein Hund? Na, da kennt er Loki schlecht. Siebenmal musste sie den Tütenmann verbellen, damit der nun auch Bescheid weiß.

Überhaupt: unser Aufzug. Den darf nur betreten, wer sich Hosenbeine oder Pumps ausgiebig beschnuppern lässt. Slipper mit Troddeln über weißen Socken sollte meiden, wer mit Loki den Lift teilen will. Die mag sie nämlich überhaupt nicht. Und andere Hunde im Lift sowieso nicht. Richtige Kämpfe werden da ausgetragen. Hält der Aufzug in einem Stockwerk wo eine Frau mit Zwergpudel zusteigen will, knurrt Loki grimmig, und die Frau drückt ihren Pudel an sich und flüstert: „Ich nehm’ den nächsten, wenn’s recht ist“. Sieg: Loki.
Und weil ihr so schön langsam ein Ruf wie Donnerhall vorauseilt, gibt es inzwischen sogar einen Herrn, der vorsorglich droht: „Mit diesem Hund fahr ich nicht.“ Viel Feind, viel Ehr. Das gilt wohl auch im und ums Hochhaus.
Ringsherum kennt nämlich jeder den Zausel mit der großen Klappe, und die Nachbarschaft benimmt sich entsprechend. Je nach Temperament. Beim Obstmann gibt’s einen sanften Tätscherer und nette Worte, dafür wird auch nie an seine Hauswand gepinkelt. Vor der Bäckerei dagegen wird zwei Minuten später ein Riesentrara veranstaltet, denn rein darf sie nicht. Also kläfft Loki und die Übersetzung ist nicht schwer: Hey, ich bin hier angebunden, vergiss mich nicht! Vergiss mich nicht! Vergiss mich nicht! Vergiss… naja, und so weiter. Hunde sind ja ausdauernde Beller. Gut, dass die blonde Bäckerin eine liebe Frau mit großem Herz ist und der Radautüte zuverlässig Salamischeiben zusteckt. Blitzschnell ist Loki versöhnt, sogar mit dem dämlichen Angebunden sein.

Das muss verstehen, wer sich eine Hündin zulegt: Unser Kiez ist nun ihr Kiez ist ihr Reich und sie die Queen. Ja, sie würde sogar mit der Pfote winken, wäre das nur möglich.
Stattdessen knabbert sie gnädig gestiftete Leckerlein und zwickt knatternde Bauarbeiter in ihre orangefarbenen Beine. Der hat hier nicht rumzuknattern, schon gar nicht in Orange. Dazu muss man wissen: Orange ist für Loki ein No Go. Da ist sie wie Anna Wintour.
Stadtarbeiter, Bauarbeiter und Müllmänner leben gefährlich in Lokiland. Bloß lassen sich die wuchtigen Kerle von dem kleinen Gernegroß nicht terrorisieren. Hier ein schneller Tritt und da ein Hieb mit dem Schaufel-Ende. Weil aber der Köter so klein und deshalb so wendig ist, treffen sie ihn nie, werden rot im Gesicht und zetern: „Verdammte Mistkröte, Hühnerdieb, Zeckenspender…“ Was ihnen eben so einfällt. Vor allem der kugelrunde Steinleger ist ein Meister der bösen Worte. „Fußhupe“ schimpft er, „Terrortöle“. Loki aber lässt’s kalt, sie versteht sowieso nur „Gsjhkgdsjakdfazf“ oder so was ähnliches. Und um die Ecke hat sie längst etwas Neues, Aufregenderes entdeckt. Manchmal sieht sie – ich schwöre es – so dynamisch aus, als hätte sie unaufschiebbar dringend Warentermingeschäfte zu erledigen. Rufe ich sie dann im falschen Moment, guckt sie wie Gordon Gekko nach einem Aktiencrash. „Stör mich jetzt nicht, Mann“ sagt ihr strenger Blick und ich folge zerknirscht.
Es müssen schließlich noch (Hunde-)Freunde begrüßt und Feinde niedergestreckt werden. Wobei Loki einen nicht wirklich edlen Charakter hat: Widersacher sind grundsätzlich Hunde, die noch viel kleiner als sie selbst sind. Pinscher, Chihuahua, Pekinese. Und tragen sie auch noch Schleifen im Haar wird ihnen barsch ins Ohr gezwickt. „Bist du ein Hund oder ein Sofakissen?“.
Kurz: Loki, 4,8 Kilo, regiert das Viertel je nach Tagesform wie ein hysterischer Kim Jong-il oder ein mildtätiger Prinz William. Und wann immer ich Hunde mit diesen kleinen Jäckchen sehe, denke ich, dass für Loki nun auch endlich das passende Stöffchen her muss: Eine nietenbeschlagene Weste mit AC/DC-Aufnäher, Fransen und dem warnenden Emblem: „Hell’s Hündchen“.