Weil es im Leben ja auch immer um Kekse, Karamellpudding und Konfekt geht, suche ich, wenn es sich einrichten lässt, nach den besten Naschtropolen der Welt. Das sind Städte oder Länder, in denen es ganz besonderen Süßkram gibt, komplizierte Torten oder wildes Knusperzeugs.
In England gibt es zum Beispiel einen gedämpften Pudding aus Nierenfett und Rosinen, der den fragwürdigen Namen Spotted Dick trägt und trotzdem sehr gut schmeckt. Man isst dort rosa-gelb karierten Battenberg-Cake im Marzipanmantel oder dreistöckigen Trifle mit Erdbeerglibber.
Island punktet mit Lakritzkugeln und Karamelriegeln, und je weiter südlich man fährt, desto besser können die Menschen mit Kakaobohnen umgehen.
Kalorien wurscht, futtern sexy.
In Spanien gibt es Städte wie Valencia, in denen sich fast alles um Schoko und Trüffel dreht. Die Küstenstadt an der Mündung des Turia muss man deshalb als Gesamtkunstwerk aus Zucker, Orangenaroma und Sahnehauben begreifen.
Man kann zwar auch schnörkelige Fassaden gucken, Strände beschlendern, aber vor allem sollte man: naschen. Süß frittierten Teig, Mandelkrapfen und pudergezuckerte Hefekringel. Dazu passt zu jeder Zeit die fetteste Tassenschokolade der Welt. Unter einer großzügigen Sahneschicht, versteht sich.
Freunde dieser Tassenschokolade treffen sich an heißen Tagen bereits am Vormittag im Chocolatería Valor, wenn am Plaza de la Reina die Sonne auf Rosenköpfe brennt.
»Camarero!«, rufen die Gäste, und der Kellner eilt herbei, nimmt auf, verschwindet, kommt zurück, ein schwankendes Tablett auf der Hand, Porzellantassen darauf. Er serviert, vorsichtig.
Dann das Ritual: Tassen werden angehoben, zum Mund geführt, es wird geschlürft, genippt und ernst genickt. Ja, so ist es gut. Im „Valor“ ist Schokolade „serious business“.
Männer in Anzügen, Frauen in Strickjacken und der blondierte Junge mit der Designer-Jeans, sie alle schlürfen und gucken zufrieden.
Kein Wunder, denn sie trinken eine Art flüssigen Schokoriegel, wahlweise nach Maya- oder Azteken-Rezept. Dazu gibt es Schokolade im Brötchen, Krapfen mit Schokocreme oder Schokoladenfondue. Selbst über den sehr saftigen Kuchen wird Schokoladensoße gekippt. Hier brühen, backen und sitzen Kakaobohnen-Connaisseure und Schokoholiker. Kalorien wurscht, futtern sexy.
Das San Francisco Spaniens
Belen trinkt im Valor heute nur einen Saft. Sie hat ihr ganzes Leben in Valencia verbracht und arbeitet als Privat-Guide. Für 120 Euro am Tag zeigt sie Touristen und VIP-Gästen die Stadt. Sie schiebt die Sonnenbrille ins Haar und lehnt sich zurück: »Sie können alles auf einmal haben in Valencia. Das Meer, den Blick auf die iberischen Berge und eine mittelalterliche Altstadt. Sie können Schokolade trinken, zwei Zentner Hefegebäck am Tag essen oder den ganzen Tag am Strand liegen – wir nehmen hier alles ganz entspannt.« Valencia mit seinen Palmen und den vielen Neo-Hippies wirkt wie das San Francisco Spaniens – bloß ohne Diät-Psychose oder Junk-Food. Eine winzige McDonald’s-Filiale verkauft mitten in der Altstadt zwar die übliche Burger-Kollektion, ansonsten versteht man hier unter Fast Food eher den frischgepressten Orangensaft vom Marktstand.
Überhaupt Orangen: Sie wachsen im schattigen Innenhof der Seidenbörse und im Frühjahr blühen in ganz Valencia auf 180.000 Hektar Orangenhaine. Man braucht die Früchte für alle Lebenslagen: als Getränk, auf Kuchen, als Öl, in Cremes und demnächst vielleicht als veritablen Benzin-Ersatz. Statt auf Raps setzen spanische und amerikanische Forscher auf Orangensaft. »Bald ist es so weit«, melden die hiesigen Zeitungen.
»Jaja, wir können auch Fortschritt« sagt Belen. Und die architektonische Zukunftsvision Ciudad de les Arts i les Ciències erinnert mit ihrem Riesen-Aquarium, futuristischen Kinos und Museen eher an Space X als an spanische Gemütlichkeit. Valencia will mehr als Meer.
Sonntags gibt es Churros mit Mandelmilch
Traditionen müssen allerdings eingehalten werden. Belen: »Jeden Sonntag gehe ich zu meiner Mutter zum Essen. Dann kommt die Großfamilie zusammen und es gibt natürlich Paella.« Das andernorts manchmal zur fragwürdigen Pampe verkommene Gericht gilt hier noch als Krönung der Tafel. Im Altstadt-Restaurant »El Rall« in der Carrer dels Abaixadors werden Paella-Pfannen mit bis zu einem Meter Durchmesser serviert: gebackener Reis, Zuckerschoten, Artischocken und Hähnchenkeulen.
Bis am Nachmittag ein süßes Schmalzgebäck namens Churros zu Mandelmilch gereicht wird, macht das satt.
Und später am Abend wird das Bäuchlein laut Belen »einfach weggetanzt«.
Die Straßenbahn fährt direkt bis an den Strand, Nachtclubs säumen die Promenade. In den Neunziger Jahren war Valencia bei Party-Hoppern so beliebt wie heute Ibiza. Belen erinnert sich: »Wir nannten das die Routa de Bacalo. Von Donnerstag bis Montag zogen wir von einem Club zum nächsten. Schlafen kam später.«
Auch heute ist im »Luna Rossa« einiges los. Der Club ist im Stil der 20er Jahre eingerichtet, aus den Boxen dröhnt harter Funk, die Mädchen tragen Frottee-Minis, die Männer Bärtchen und alle bestellen French Coladas aus Rum, Cognac und Kokosnuss. Tanzen, ganz klar, ist hier Frauensache, zumindest bis der Alkoholpegel in den Mir-doch-egal-Bereich rauscht. Die Aftershowparty organisiert sich draußen ab halb sechs von alleine: Dann steigt die Sonne aus dem Meer während in den Cafes schon wieder die ersten Hefekringel zu starkem Kaffee serviert werden. Na dann, buen provecho!